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Das „Kloster“ in Eltingen

Standesgemäße Behausung für einen führenden Angehörigen der württembergischen Ehrbarkeit im 15. Jahrhundert

Quelle: Volker Trugenberger, "Von wegen des Unbaws von Grund uff von Newem erbawen" - Eltinger Häusergeschichte(n) des 15. und 16. Jahrhunderts im Spiegel archivalischer Quellen. In: Aus Schönbuch und Gäu 1/2002, S.1-7

Autor: Volker Trugenberger
Kloster renoviert

Bild: Das sog. „Kloster“ Glemsstraße 33 in Eltingen. Das schmucke Gebäude stammt aus dem Jahr 1471. – Bitte klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Das Gebäude Glemsstraße 33 in Eltingen mit seinem giebelseitig zur Straße stehenden zweistöckigen Hauptgebäude und einem traufseitig ausgerichteten einstöckigen Anbau wurde 1997 und 1998 vor einer grundlegenden Sanierung von dem Bauhistoriker Armin Seidel eingehend untersucht. Die dendrochronologische Analyse eines im Anbau verwendeten Holzes mit Waldkante ergab als Fällungsjahr den Winter 1470/71, so dass mit Seidel für beide Gebäudeteile „1471 als Baujahr angenommen werden darf.“ Südlich des Gebäudes Glemsstraße 33 erstreckte sich ein großer Hofplatz. Der Hofplatz, an dessen westlichem Rand eine Doppelscheune stand, gehörte noch im 19. Jahrhundert ausweislich der Brandschadensversicherungskataster zum Anwesen Glemsstraße 33. Ein Hinweis auf eine besondere Funktion des Anwesens sind nicht nur bauliche Besonderheiten des Gebäudes, sondern auch die mündlich tradierte Bezeichnung „Kloster“. Diese Bezeichnung weist sicher auf eine Funktion in vorreformatorischer Zeit hin.

Es ist allerdings auszuschließen, dass das „Kloster“ als klösterliche Niederlassung diente. Denn eine solche Niederlassung ist in Eltingen archivalisch nicht belegt. Spätestens aus der Reformationszeit wären entsprechende Quellenzeugnisse zu erwarten. Hinzu kommt, dass das Anwesen sich bereits vor Einführung der Reformation in bäuerlichem Besitz nachweisen lässt, nämlich im Besitz der Familie Wolffangel.

Aber gehörte das „Kloster“ vielleicht zur Grundherrschaft eines Klosters? Hat es seinen Namen von einer Funktion als klösterlicher Wirtschaftshof, als – wie bereits Konrad Fröschle in seiner Eltinger Ortsgeschichte vermutet hat – ehemaliger Fronhof des Benediktinerklosters Hirsau?

Kloster vor der Renovierung

Bild: Hofseite des „Klosters“ vor der Renovierung. (Foto: STA Leonberg)

Eltingen und das Kloster Hirsau
Das Kloster Hirsau hatte im 12. Jahrhundert umfangreichen Besitz in Eltingen geschenkt erhalten, der zum Teil als Bauernstellen, so genannten Hufen oder Huben, an abhängige Bauern ausgegeben wurde, die dem Kloster dafür Abgaben und Dienste zu leisten hatten. Das Kloster unterhielt mit Hilfe der abhängigen Bauern jedoch auch eine umfangreiche Eigenwirtschaft. Zentrum dieser Eigenwirtschaft war der Fronhof, von dem aus zudem der ganze übrige Besitz des Klosters in Eltingen verwaltet wurde. Der Fronhof wurde von einem Meier betrieben. 1318 verkaufte das Kloster Hirsau seine gesamten Besitzrechte in Eltingen an Graf Eberhard von Württemberg, darunter auch den ausdrücklich in der Verkaufsurkunde genannten Fronhofe. Die Württemberger bewirtschafteten den Hof zunächst weiterhin in Eigenregie mit einem Meier. Als Folge der Agrarkrise des 14. Jahrhunderts überließen sie ihn dann gegen Ende des Jahrhunderts einem Bauern zur selbständigen Bewirtschaftung. Dieser hatte ihnen nunmehr eine feste jährliche Abgabe zu entrichten. Seit 1399 wird der Hof deshalb in den herrschaftlichen Lagerbüchern aufgeführt. Zum Hof gehörten 34 Hektar Acker und 7 Hektar Wiesen.

1424 – Inhaber war damals Sifer Frieß – ist erstmals die Lage des Hofes im Dorf näher angegeben: die Hoffraitin sei gelegen an dem Kirchhoff tzu der einen Siten. Ähnlich lautet die Lokalisierung im württembergischen Lagerbuch von 1461: Huß und Hoffreytin mit aller Gehord gelegen am Kirchhoff. Da unmittelbar an den Kirchhof nur zwei Anwesen angrenzten, nämlich der Widumhof und das „Kloster“-Areal, ist es eindeutig: Mit dem Hof am Kirchhoff kann nur das „Kloster“ gemeint sein. Mit anderen Worten: Die Bezeichnung „Kloster“ erinnert an den ehemaligen Fronhof des Klosters Hirsau. Es wurden also Besitzverhältnisse des Hochmittelalters über sieben Jahrhunderte mündlich bis in unsere Zeit tradiert.

1481 kaufte der damalige Inhaber, der Nagolder Schultheiß Auberlin Schertlin, den Hof aus der Grundherrschaft des Grafen von Württemberg frei.

Der Hof in Besitz von Auberlin Schertlich
Über Auberlin Schertlin wissen wir im Vergleich zu anderen Menschen des 15. Jahrhunderts sehr viel, vor allem aus zwei in Leonberg überlieferten Zeugenaussagen, die er selbst 1481 und 1498 in Prozessen vor dem württembergischen Hofgericht machte, in denen Nachbarschaftsstreitigkeiten zwischen Eltingen und Leonberg verhandelt wurden. 1498 gab er zu seiner Person an, er sei bey sechzigunndvier Jarn allt und in Leonberg geborn unnd erzogen. Als Geburtsjahr lässt sich daraus das Jahr 1434 errechnen. Im Sommer 1481 sagte er über sich unter anderem aus, es sei uff Fabiani und Sebastiani anno LXXXImo [= 20. Januar 1481] geweßt sibenundzweintzig Jar, das er sich eelich verenndert und vermehelt hab, er heiratete demnach 1454 mit zwanzig Jahren. Seine Frau war möglicherweise eine Wolffangel aus Eltingen, was erklärte, wie er in den Besitz des Eltinger „Klosters“ kam. Uff sant Jörgen Tag nechstverruckt, das heißt am 23. April 1481, seien es zehn Jahre her gewesen, das er von Löwenberg uss der Statt gezogen sei.

Bis zu seinem Wegzug aus Leonberg gehörte Schertlin 13 Jahre lang dem Leonberger Stadtgericht an, in das er also in sehr jungen Jahren – mit 24 oder 25 Jahren – berufen worden war. Das aus zwölf ehrenamtlichen Richtern bestehende Stadtgericht ist in seinen Kompetenzen mit dem heutigen Gemeinderat vergleichbar, nahm aber auch – wie der Name schon sagt – Aufgaben der Rechtsprechung und freiwilligen Gerichtsbarkeit wahr. In seiner Zeit als Richter bekleidete Schertlin mehrmals das höchste städtische Amt im damaligen Leonberg, nämlich das eines Burgermeisters vom Gericht, das wie alle städtischen Ämter jährlich vergeben wurde. Bereits vor seiner Berufung in das Stadtgericht war er als Vertreter der Gemeinde in der Kommunalpolitik aktiv. Denn da das Stadtgericht wegen seiner Aufgaben in der Rechtsprechung als obrigkeitliche Instanz galt, wurden bei wichtigen kommunalpolitischen Entscheidungen Vertreter der Stadtgemeinde beteiligt, die nicht dem Gericht angehörten und einen zweiten Bürgermeister stellten. Schertlin konnte nun von sich sagen, er sei, davor und ee er in das Gericht gezogen wurd, ... von der Gemeind wegen vast [= fest (kräftig, intensiv, häufig)] zu iren Sachen geprucht, ouch Gemeyndburgermeister gewesen.

Über seine wirtschaftlichen Verhältnisse erfahren wir von Schertlin 1481 selbst, diewil er zu Löwemberg seßhafft gewesen sei, habe er außer Besitz in Leonberg auch Güter zu Ditzingen gehapt und er habe noch jetzt Güter zu Gerlingen und Eltingen. Aus dem Jahr 1470, also kurz bevor er Leonberg verließ, stammt eine Steuerliste, die uns Einblick in seine damaligen Vermögensverhältnisse gibt. Mit 770 Gulden versteuertem Vermögen gehörte er zu den zehn reichsten Bürgern Leonbergs. Mit Abstand reichster Bürger war damals sein gleichnamiger Vater, der 300 Gulden an Steuern bezahlte, was bei einem Steuerfuß von 5 Prozent einem Vermögen von 6000 Gulden entspricht.

Die Familie Schertlin
Der ältere Auberlin Schertlin ist zwischen 1456 und 1466 als herrschaftlicher Keller in Leonberg bezeugt. Der jüngere Auberlin Schertlin, der Besitzer des „Klosters“, war 1481 Schultheiß in Nagold. Als solcher ist er bis 1484 nachweisbar. In den 1480er Jahren kehrte nach Leonberg zurück, wo ihm der Landesherr das Amt eines Vogtes übertrug, ein Amt, das er nachweislich bis 1493 bekleidete. Als Vogt war er Stellvertreter des Grafen in Stadt und Amt Leonberg und mit einer entsprechenden Machtfülle ausgestattet, zumal es damals noch keinen Obervogt in Leonberg gab. Auch seine Brüder machten Karriere: Heinrich war seit 1487 Weihbischof in Speyer, Ludwig Schultheiß in Vaihingen an der Enz, Georg Vogt in Calw. Die Schertlin gehörten damit zu der Spitzengruppe der württembergischen Ehrbarkeit, den so genannten Vogtfamilien, das heißt jenen wenigen untereinander versippten und verschwägerten reichen Familien, die nicht nur die Spitzenpositionen der württembergischen Bezirksverwaltung, nämlich die Ämter des Vogts und des Kellers, besetzten, sondern auch auf der lokalen Ebene durch ihr Vermögen und ihren politischen Einfluss bestimmend waren und Schultheißen und Bürgermeister stellten.

Solange Auberlin Schertlin das Amt eines Vogts innehatte, war er offensichtlich von der kommunalen Steuerumlage befreit. Erst 1495 erscheint er in einer Leonberger Steuerliste als größter Steuerzahler mit einem Gesamtsteuerbetrag von 24 Pfund 7 Schilling Heller, davon 7 Pfund 1 Heller für sin Hoff zu Eltingen.

Damit sind wir wieder bei der Glemsstraße 33 in Eltingen, dem „Kloster“. Erinnern wir uns: Die Bäume, die man für den Anbau des „Klosters“ verwendete, wurden im Winter 1470/71 gefällt, der Anbau und sicher auch das Haus also 1471 aufgerichtet. 1471 nun zog Schertlin seiner eigenen Aussage zufolge von Leonberg weg, und zwar nicht nach Nagold, wo er ja zehn Jahre später Schultheiß war, sondern nach Eltingen. Denn in seiner Aufstellung der Hubenzinsen, die er 1481 dem württembergischen Grafen zur Ablösung seines Hofes überließ, heißt es ausdrücklich, er sei zu Eltingen gesessen gewesen, und diese Angabe kann sich nur auf die Zeit nach 1471 beziehen. Es ist also davon auszugehen, dass Schertlin im April 1471 das neu erbaute „Kloster“ bezog, wie es in seiner Substanz bis heute auf uns gekommen ist, und dass er der Bauherr war. Schertlin wohnte nicht lange in dem von ihm erbauten Haus, zog er doch nach wenigen Jahren nach Nagold. Dennoch ist das Gebäude Glemsstraße 33 bis heute ein eindrucksvolles Beispiel für eine standesgemäße Behausung eines führenden Angehörigen der württembergischen Ehrbarkeit im 15. Jahrhundert.

Der Text wurde gekürzt.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors

Der Autor, Dr. Volker Trugenberger, studierte Geschichte, Germanistik und Latein in Tübingen und promovierte bei Prof. Hansmartin Decker-Hauff. Er stammt aus Eltingen und ist Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen.

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